Ansichten eines Talkshowmasters - Kein Drehbuch !


Erste Ansicht:   von vorne, zehn Sekunden - Schnitt.
Zweite Ansicht: er setzt sich auf einen Stuhl -Schnitt.
Dritte Ansicht:   ein Störbild, eine weibliche Stimme säuselt: "Bitte entschuldigen
Sie diese Störung, leider ist unser Regisseur soeben an Verfettung gestorben"
Vierte Ansicht:  wieder der Talkmaster auf dem Stuhl, zwei junge, kräftige Kerle
tragen einen dicken Mann durchs Bild, der Talkmaster schüttelt den Kopf:
"Schon wieder. Immer mit der selben Masche."
Fünfte Ansicht: Halbtotale, ein Mann setzt sich auf den zweiten Stuhl, einer der
beiden jungen, kräftigen Kerle bringt zwei Gläser Wasser und stellt sie auf einen
kleinen Tisch. Der Mann der sich gerade hingesetzt hat nimmt ein Glas und lehrt es
mit einem Schluck.

Talkmaster: Ich freue mich, hier zum fünften mal seit Bestehen dieser Show, Herrn
Maier bei mir zu haben. Herr Maier, was ich sie schon die letzten fünf mal fragen
wollte: Wann...
Maier: Also ganz schlimm fand ich ja das mit der Prohibition...
Talkmaster: ... Herr Maier ...?
Maier: oder war, es die Prostituion? Egal, schlimm war das damals. Ich war echt down...
Talkmaster: Herr Meier, wann...
Maier: davon, total down. Ich meine Sex und Drogen...
Talkmaster: Herr Maier, jetzt seien ...
Maier: Was haben sie gesagt?
Talkmaster: Herr Maier, wann..
Maier: Genau das meine ich. Sex und Drogen. Was braucht man mehr?
Talkmaster (schreit): Halten sie endlich die Klappe!
Maier: Was braucht man mehr als Sex und Drogen, aber damit war ja nix mehr...
Talkmaster (gibt den beiden jungen Kerls, die im Hintergrund stehen, ein Zeichen).
Maier: Wissen sie eigentlich ging es mir ja um was ganz anderes, nämlich Gewalt und Brutalität...

Die beiden jungen, kräftigen Kerls fassen Herrn Maier, der sich wehrt. Sie knebeln
ihn und fesseln ihn an den Stuhl.

Maier: Hmmmmmmpf...
Talkmaster: Herr Maier, wann fing das eigentlich an mit ihrer Quasselsucht?
Maier: Hmmmmmmmpf...
Talkmaster: Nicken Sie einfach mit dem Kopf!
Maier: (nickt wie wild mit dem Kopf)
Talkmaster: Vielen Dank und auf Wiedersehen, bis zum nächsten mal, Herr Maier!
( die Kerls tragen Herrn Maier samt Stuhl raus, der Talkmaster dreht sich zum Publikum)
Und auch Ihnen noch eine gute Nachtruhe. Und morgen sehen wir uns
natürlich wieder, hier auf Kanal 471. Ihr Heinz Hinz. (Steht auf und geht).

Hinz kommt in die Maske, setzt sich vor den Spiegel und beginnt sich abzuschminken:
"Wissen Sie,  das ist ein trauriger Fall, der Maier; und dabei war er so
vielversprechend  - am Anfang. Mit seiner Neurose war er der ideale Talkshowgast.
Man hatte sofort ein naheliegendes Gesprächsthema und mußte nicht viel fragen.
Und nach fünf Minuten hatte er jeden in den Schlaf gelallt. Ein Volltreffer, der
Maier; hat auch jede Menge Knete damit gemacht. Aber heute...
Seine Krankheit hat überhand gewonnen, er regt die Leute damit auf. Und worüber
der spricht!   Wie soll man da als gestresster TV-Konsument noch einschlafen?
Lange macht der's nicht mehr, der ist bald weg vom Fenster. Eigentlich beneide ich
ihn dafür. Aber für den Maier ist das ganz schlimm, der braucht das. Der macht es
keine drei Tage ohne Publikum, dann baumelt der. Naja, seine Witwe wird's freuen.
Endlich kein Gelaber mehr und wenn man an das riesen Erbe denkt.... da wird
einem direkt schwindlig...
Wenn ich an den Maier denk, da bin ich doch wieder froh mit meinem Job. Man hat
es hoch besser als auf  dieser Seite der Show; aber eigentlich wollte ich ja Holzfäller
werden. Ich hab da sowas in 'nem Berufsberatungsmagazin für Künstler gesehen,
"Flying Circus" oder so,  das war schon beeidruckend..."

Weiche Überblende ...

Man sieht Hinz als jungen Mann in die Berufsinformations-Zentrale gehen.
Er setzt sich in den Stuhl vor dem Schreibtisch.
Beamter: So, Herr Hinz, was wollen sie denn werden ?
Hinz:     Holzfäller will ich werden.
Beamter: (schaut erstaunt) Holzfäller?
Hinz:     Ja, Holzfäller!
Beamter: Guter Scherz ! (lacht falsch)
Hinz:     Das ist kein Scherz.
Beamter: Aber Holzfäller die braucht man doch schon lange nicht mehr. Wozu gibt
es sauren Regen und Herbststürme ?
Hinz:      Ja hier braucht man die nicht, ich will ja auch nach Kanada.
Beamter:  Nun wenn sie den Kanadischen Wald sehen wollen, da hab ich was für Sie.
Hinz: (erfreut) Ja?!
Beamter: Ja einen Job im Katalogversand von Quelle.
Hinz: Was ?!
Beamter: Mehr sehen sie in Kanada auch nicht mehr vom kanadischen Wald.
Hinz: Und sonstwo?
Beamter: In Brasilien hat man jetzt mit der Wiederaufforstung begonnen, aber bis
man da wieder fällen kann, das dauert... Wie wäre es mit was anderem?
Hinz: Weis nicht, was gibt's denn so für Künstler?
Beamter: Talkshowmaster werden zur Zeit stark gesucht.
Hinz: Das sind aber Scheiß-Jobs!
Beamter: Zur Zeit gibts aber so gut wie nichts anderes.
Hinz: Aber ich will Holzfäller werden.
Beamter:   Sie können ja Umschulen, wenn Brasilien soweit ist.
Hinz: Na gut.

Blende. Wieder in Hinz' Garderobe. Er nimmt sein Toupet ab und poliert die Glatze.

" Was blieb mir anderes übrig, ich hatte nicht mal den Hauptschulabschluss. Was
soll man da sonst machen. Abitur nachmachen und studieren? Nur um dann bei
MacDonalds den Abwasch zu machen? So viel besser wäre das auch nicht gewesen.
Nun bin ich, was ich bin und es ist eigentlich nicht mal sonderlich schlecht. Klar,
nie Urlaub und jeden Tag vor der Kamera ein Leben lang, das ist schon hart, aber
was will man tun. Der Regisseur, der hat's gut, der hat den Bogen raus. Der macht
immer einen auf Herzattacke und scheintot, im Krankenhaus wird er dann
wiederbelebt und kommt drei Tage auf die Intensiv. Mir hat er mal gesagt, so
einmal im Monat, da fällt das keinem auf. Mir schon, aber ich hab ja inzwischen
Realschulabschluss, aber 99% der Zuschauer merken nix. Bei mir würden sie's
merken, wenn da plötzlich ein anderer steht. Das würde ihr Interesse wecken, da
würden die nicht einschlafen - das ist schlecht. Das verstößt gegen die Goldene
Regel der Unterhaltungskunst: Schlafende Zuschauer zappen nicht.  Vor allem
wenn die Werbung kommt, ist das wichtig. Früher hat man gedacht, man müsse die
Zuschauer mit interessanten Themen bei der Stange halten, aber das war natürlich
völliger Blödsinn. Wenn die Werbung kam, haben die umgeschaltet oder
abgeschaltet und sind schlafen gegangen . Heute schlafen sie vorher ein. Früher
argumentierten die Werbefritzen: "Schlafende Zuschauer, die bringen doch nix!"
Aber man konnte ja nicht messen, wer denn nun schläft und wer guckt. Und als
dann der Antonov mit seinem berühmten Antonov-Experiment kam, verstummten
auch die letzten Kritiker der Einschläfer-Methode. Eigentlich konnte man es sich
auch schon als nicht-Psychologe denken, daß das Hirn im REM-Schlaf viel
aufnahmefähiger ist für Werbung, als im Wachzustand. Und bei der langweiligen
Talkshow drumherum kommen die Werbesprüche auch viel besser durch. Aber das
wichtigste: man kann sich die teuren Aufnahmen für die Werbung sparen. Ton
reicht ja. Das hat in der Werbung viel Geld freigesetzt und das floß dann in die
plötzlich so begehrten Late-Night-Shows; vor allem die langweiligen. Das war mein
Glück. Es ist zwar immer noch ein Scheiss-Job, aber gut bezahlt. Wenn man der
perfekte Langweiler ist, macht man viel Kohle. Wie sonst wären 500 Sender
finanzierbar? Das Konzept ist brilliant. Tagsüber macht man die Zuschauer mit
Medienmüll fertig, so daß sie froh sind, endlich bei einer Late-Night-Show
einschlafen zu können. Ganze Heerscharen von Psychologen denken sich immer
abstrusere Methoden aus, damit die Leute nicht in den gefürchteten Tiefschlaf
fallen. Man muß ihnen tagsüber was zeigen, was auch nachts noch ihr
Unterbewußtsein lange wach hält. Weniger Psychos arbeiten auf der andern Seite,
den Talkshows. Hier gibt es noch keine wissenschaftlich sicheren Methoden, um zu
langweilen. Wohl auch, weil die Professoren, die sich damit beschäftigt haben, alle
selbst Talkshow-Gäste wurden. Professoren galten lange Zeit als sichere Garanten
von Langeweile. Aber auch Vollidioten, die kaum ein Wort herausbrachten, waren
sehr beliebt.  Heute nimmt man aber nur noch Profis oder Promis. Wer heute
Talkshowgast werden will, hat keine Chance. Die Plätze sind alle vergeben. Es gibt
500 Gäste für die 500 Shows. So kann man jeden Tag wechseln, bekommt die
selben Leute alle eineinhalb Jahre, um über dieselben Themen zu reden. Wer will,
kann seinen Liebling jeden Tag auf einem anderen Sender sehen. Oder man will
Abwechslung und schaut immer dieselbe Show, hat dafür aber andere Gäste. Ganz
schlecht ist andere Show und andere Gäste. Aber das macht kein Zuschauer, man
will ja einschlafen. Es ist ja auch voll demokratisch: nicht das Fernsehen sucht die
Gäste aus, sondern der Zuschauer kann aus allen 500 auswählen. Untersuchungen
haben auch ergeben, daß sich niemand mehr als 300 Prominente merken kann. 300
Talkgäste wären ideal, aber mit 500 Shows pro Tag, da braucht man ein paar mehr.
Talkshows ohne Gäste, das würde zu sehr aufregen.
Das mit dem Holzfäller hab ich mir aus dem Kopf geschlagen. Der Schwarzwald ist
zwar wieder aufgeforstet, aber Fällen ist verboten. Es mußte so kommen. Schon als
zehn Jahre zuvor die Sahara wiederaufgeforstet war, waren da sofort die Grünen
und wollten,  daß man die nicht wieder abholzt. Das wäre zu teuer: immer  Abholzen,
Aufforsten, Abholzen, Aufforsten ...
Und außerdem ist die Showbranche auch viel glanzvoller als die Forstwirtschaft. Sie
ernährt Prominente, Politiker, die Kirche ...
Das mit der Kirche war sowieso der genialste Trick. Die ganzen Hardliner sorgen
für gute Einschaltquoten. Aber der absolute Höhepunkt wurde erreicht, als nach
einem Dutzend Bischöfen auch der Papst einstieg. Der ist der sicherste Gast, der
treibt die Quote hoch. Man fragt nach der Bevölkerungsentwicklung und er bringt
in vierzig Sprachen der Welt den Bibelspruch von dem "Seit fruchtbar und mehret
euch". Das haut auch den wachesten Zuschauer um. Da muß auch ich immer Red
Bull vorher trinken, sonst haut's auch mich um. Aber  er will jetzt wieder
aussteigen. Sehr bedauernswert. Nicht das ihn das viele Rumfliegen von Sender zu
Sender stört. Nein, mir hat er nach der letzten Show  gesagt " Mein Sohn, mir sind
die Landebahnen zu dreckig. Da kriegt man Lippenkrebs von dem vielen Ruß. Das
mit dem Ruß ist der Anfang der Apokalypse, daß sind die vielen
Leichenverbrennungen in Indien."  Das war natürlich mal wieder ein typischer
Spruch von ihm, total weltfremd. Jeder weiss, daß der Ruß von der Fliegerei und
dem Massentourismus kommt.  Aber das mit den Leichenverbrennungen in Indien,
das ist schon seltsam, daß Millionen Hindus an Rinderwahnsinn starben, obwohl
die doch gar keine Rinder essen. Aber er sieht darin mal wieder die Strafe Gottes:
"Und die kommen nicht mal in den Himmel und auch nicht ins Nirvana."
Nirvana und Curt Cobain sind auch immer gute Themen, und das obwohl das
schon fast so lang her ist wie der Kennedy-Mord, und Elvis Presley. Es gibt immer
wieder neue Spekulationen und die Leute schlafen gut ein dabei.
So, jetzt wird es aber Zeit. Jetzt kommt meine eigene Lieblingstalkshow "Super-
Late", die Talkshow für Talkmaster und Gäste und andere Leute die etwas länger
aufbleiben als die breite Masse."